Wagnis ins Unbekannte - warum Wissen und Weisheit zu unterscheiden sind


Wagnis ins Unbekannte

Warum Wissen und Weisheit zu unterscheiden sind

Wagnis ins Unbekannte

Vor vielen Jahren war ich mal auf dem Camino Frances, dem bekanntesten Jakobsweg. Manchmal ist es einfach dran, etwas zu machen. Ich hatte Zeit, hab mir Infos besorgt und dann: Aufbruch. Mit dem Flieger nach Bilbao, dann weiter mit einem Bus und schließlich Ankunft in Pamplona.

Davor hab´ ich mir erstmal ne Menge Infos geholt. Was mitnehmen? Wie geht das mit dem Übernachten? Usw.

Den ersten Morgen aufzubrechen, das werde ich nicht vergessen. Dieses Gefühl unterwegs zu sein und nicht zu wissen, wo man in der kommenden Nacht schläft. Das hat fast ein bisschen Angst gemacht.

 

Die erste Nacht: 34 Betten in einem Raum. Ging aber. Die zweite: Irgendwo im Gebirge vor einer niederländischen Herberge. 36 km war ich schon gelaufen. Und dann: Completo. Die Herberge war voll. Die nächste kommt erst in 12 km. Gut, dann eben auf dem Spielplatz vor der Herberge pennen.

Davon stand nichts in all den Informationen vorher, in all dem Wissen, was ich für dieses Abenteuer erworben hatte!

Nach ein paar Tagen lief das ganze wie geschnitten Brot. Einfach gehen. Und sich keine Sorgen machen. 100km, 200km, 500 km es war wie ein Rausch.

 

„Jetzt übertreibt er aber!“

Eines Morgens dann, wir gehen noch vor Tagesanbruch los wegen der Hitze, geht die Sonne über einem riesigen Sonnenblumenfeld auf.

Inzwischen war mein Kopf völlig frei gelaufen. Und ich schaue zur Seite über dieses Feld und spüre das Gefühl: Puh, jetzt übertreibt Gott aber!

Ich war von der Schönheit so geflasht, dass ich feuchte Augen bekam.

 

Jetzt stell Dir vor: Dein Leben ist eine Reise; Pilgereise vielleicht. Denn das Wort "peregrinari" heißt, in der Fremde unterwegs sein.

Mal ist die Fremde die neue Stadt. Der Beginn des Studiums, ohne einen Menschen zu kennen. Mal bin ich mir selbst fremd. Unterwegs aber bin ich immer.

Und stell Dir auch vor: Du hast sämtliche Ressourcen zur Verfügung. Google und Co, auch noch ein bisschen Geld.

Ließe sich damit das Problem des Fremdseins lösen?

Ließe sich dadurch die Angst vor einem Aufbruch ins Ungewisse besiegen?

 

Für mich nicht.

 

Und an dieser Stelle kommt meine wichtigste Entdeckung beim Pilgern. Vielleicht die wichtigste Entdeckung meines Lebens überhaupt.

 

Die Unterscheidung von Wissen und Weisheit.

Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. 21 Die traten zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollen Jesus sehen. 22 Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen’s Jesus. 23 Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. 24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. 25 Wer sein Leben lieb hat, der verliert es; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s bewahren zum ewigen Leben. 26 Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren. Joh 12,20-26

 

Wissen und Weisheit

So gesehen ist Jesus von Anfang ein Lehrer. Er hat Wissen vermittelt und Weisheit gelehrt. Hier lässt sich lernen, wie das Leben läuft in seinen tieferen Zusammenhängen.

Entweder siehst Du nur Pflanzen, Nutzpflanzen. Oder Du siehst tiefer: die Schönheit der Schöpfung aus Liebe heraus.

Wissen kann niemals Weisheit ersetzen. Noch klarer: Du kannst Dir den Kopf vollbimsen, dadurch musst Du noch keine Ahnung vom Leben an sich haben.

Klar: Man kann sich einen Ratgeber zum Thema Verlieben kaufen. Dann erfährst Du: Da finden biochemische Prozesse im Körper statt. Wenn Du die erklären kannst, musst Du noch nicht verstehen, was das konkret für Dich bedeutet. Schließlich bist Du ja mehr als ein biochemischer Prozess.

Dass man dann so richtig Schmetterlinge im Bauch hat. Ich finde, eines der krassesten und schönsten Gefühle überhaupt.

Losgehen kann mich in die tiefe Verbundenheit mit allem führen. Ich mache meine eigenen Erfahrungen. Dass das Leben trägt zum Beispiel.

 

Und das ist Weisheit.

 

„Du sprichst in Rätseln – und Bildern“

Jesus redet in Bildern. Manchmal auch in Rätseln. Er sagt: Weise ist, sich nicht zum Zentrum seines eigenen begrenzten Universums zu machen. Also sich als Geschöpf anzunehmen. Das eigene Leben – man kann auch Seele übersetzen – wird Dir nicht reichen. (wörtlich: sie kann verderben V.25). Ständig musst Du dich um dich kümmern; vielleicht wird daraus eine Obsession. Ständig, ich – mein - mir – und dann könnte Dir eine Dimension des Lebens komplett verloren gehen.

 

Jetzt kommen also die Griechen zu ihm. Die Meister der Psychologie und Philosophie. Cool. Jesus kurz vor der Promotion, möchte man sagen. Oder Habilitation. Antrittsvorlesung!

Auch hier geht es um Weisheit.

 

Weise ist es, den Zusammenhang von Vergehen und Werden auf allen Ebenen anzuschauen.

Wie bei einem Weizenkorn. Paradox. Es stirbt und es gibt Frucht, mehr als zuvor.

Das Naturale ist ein Bild für die Weisheit des Vergehens und Werdens. Also, was Jesus selbst erlebt. Und, was überhaupt gilt. Im Vergehen gibt es Platz für Neues. Oder Humus, damit etwas wachsen kann.

 

In der Perspektive mag man sich fragen:

 

Verwechsele ich da was, indem ich denke: Mein Wissen hält die Lösung für meine Lebensfragen, meine Sehnsucht bereit?

Suche ich vielleicht Erfolg, einfach, dass aus meinem Leben was rauskommt?

Da ist es weise, Vergehen und Werden zu beachten. 

Gerade im Festhalten verliere ich die Lebendigkeit. Paradox. Hab‘ jetzt alles geregelt. Und dann sitze ich da. Voll sicher. Aber eben: den Abflug verpasst.

„Sein Leben verlieren“ (Joh 12,25) heißt also in den Worten Jesu: Setz jetzt nicht auf Sicherheit. Setz auf Lebendigkeit! Das Prinzip der Welt ist Absicherung. Selbstfürsorge und Lebendigkeit ist mehr.

 

 

Reine Verschwendung

Und genau in diesem Sinne verschwendet sich Jesus. Es ist freie Hingabe. Aus Liebe. Gott ist kein Metzger. Oder irgendwie pervers. An Jesus lässt sich die Weisheit von Stirb und Werde verstehen. Im heiligen Tausch muss ich mich dann auch nicht mehr mit den Altlasten, Schuld, Schuldgefühlen quälen.

Gott liebt restlos. Es gibt kein wenn – dann, um zu, wehe, wenn nicht.

 

Manch einer entdeckt nun die Fastenzeit als Chance, sein Leben mal durchzugehen. Was könnte ich mal weglassen? Oder in der Sprache der Tradition: Opfern. Projektionen, Ablenkungen, Süchte. So sie mich hindern, Gott näher zu kommen. Das ist der tiefe Sinn des Opfers. Gott muss und kann doch nicht bezahlt werden. Wie blöd ist das denn. Ich könnte aber opfern. Manchmal ist es nicht leicht, etwas wegzugeben. Um freier den eigenen Weg zu gehen. Das ist die Bedeutung von Opfer: Gott näher kommen durch freiwilligen Verzicht.

 

Weise unterwegs

Nochmal zum Jakobsweg.

Niemand hat mir gesagt, dass ich für den Weg keine Wanderschuhe Modell Mount Everest brauche.

Riesige Klötze an meinen Füßen, die dann bei der Hitze nicht mehr passten. Also habe ich sie in meinen Rucksack gepackt und hunderte Kilometer getragen, bis nach Santiago de Compostela. Manchmal hätte ich sie am liebsten verflucht. Sie waren so schwer. Und hatten keinen Nutzen für mich. Waren aber auch zu teuer, um sie einfach stehen zu lassen. Was für eine Quälerei.

 

Ist fast unnütz zu fragen, wie oft ich sie danach noch getragen habe. Genau! Nie wieder!

 

Und da ist die Einladung Jesu: Komm noch mit in diese Bibelschule. Hier wird Wesentliches gelernt.  Weisheit des Vergehens und Werdens. Nicht sich den Rucksack des Leben so vollstopfen. Und hinterher schleppen.

Unterwegs sein und sich einem Weg überlassen. Ins Staunen kommen. Berührt werden. Lieben und Geliebt werden.

Kein Wunder, dass Jesus sich selbst als Weg beschreibt (vgl. Joh 14,6) Passt einfach.

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Am Ende des Caminos hatte ich einige neue Freunde fürs Leben gewonnen. Und wir haben so viel Fülle erlebt, dass daraus ein Projekt wurde: Josef hatte so ein Tuch dabei. Das haben wir als Tischtuch genommen für ein Picknick. Und einfach Menschen auf dem Weg zu einem solchen Picknick eingeladen.

 

Erst später ist mir klar geworden: An einer Festtafel speisen ist ein Zeichen des Himmels. Und den haben wir da erlebt. Danach willst Du an sich nicht mehr zurück. Und musst Du ja auch gar nicht. „Alles was ich zum Leben brauche, finde ich auf dem Weg.“ War damals mein Fazit. Und meine Freundin Jill hat für sich gesagt: „Der camino ist Liebe.“ In dieser Haltung kann ich getrost leben. Und unterwegs sein. Und manchmal muss einfach was sterben, damit Du dich nicht abschleppst und was Neues Platz bekommt.

Foto: Ulrich Melzer
Foto: Ulrich Melzer

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