Strand, gut!
Ruhe in der Zeitlosigkeit
Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft. (Ps. 62,2)
Den größten Tidenhub Europas gibt es in Saint-Malo in der Bretagne. Zwischen Niedrigwasser und Hochwasser liegen 12m, manchmal sogar 16 Meter Unterschied. Die Kräfte der Gezeiten sind so gigantisch, dass dort ein Gezeitenkraftwerk errichtet wurde. Durch den Wechsel von Ebbe und Flut wird dort Strom gewonnen.
Wer es weniger gigantisch mag findet an der Nordsee Gezeiten, die etwas moderater sind. Wasser als Chiffre für Zeit wird erfahrbar.
Während der Flut läuft das Wasser auf den Strand. Welle für Welle drängt es dem Land entgegen und ist aufgewühlt. Man spürt die Macht des Meeres und sieht – nichts. Das aufgewühlte Wasser transportiert Sand und anderes an die Küste. Bis schließlich die Ebbe einsetzt. Langsam aber stetig zieht sich das Wasser wieder zurück.
Der Wechsel der Gezeiten ist wie ein Bild fürs Leben: Die Flut kommt, die Wellen werden höher, das Meer wird bedrohlich und kommt näher. Und dann wieder wird es ruhiger.
Und doch gibt es noch eine dritte Zeit; sie liegt genau im Übergang zwischen Flut und Ebbe. In diesem Atemzug zwischen Auflaufen und Ablaufen setzt sich alles, das Wasser wird klar. Auch manches Strand-Gut bleibt zurück. Es kann sortiert werden zwischen im Blick auf die eigene Situation.
Wegen der Größe und Kraft des Meeres galt es im Altertum als bedrohliche Macht. Das kann man übrigens beim Segeln ab Windstärke 6 auch erfahren. Respekt stellt sich ein, manchmal auch Furcht. Geglückt gewendet heißt das dann Ehrfurcht.
Hält man in dieses Bild der Gezeiten sein eigenes Leben ergibt sich von selbst eine kleine Liturgie. Versuch nicht, während der Flut irgendwas zu regeln! Man sieht nicht klar, alles ist aufgewühlt, ja bedrohlich.
Erst im Übergang zwischen Flut und Ebbe, im Augenblick der Stille, entsteht Klarheit. So lassen sich Dinge und Zusammenhänge erkennen, Strandgut finden und einsammeln. Im Auf und Ab der Zeiten seinen Rhythmus finden. Eine Kunst des Lebens.
Was also tun, wenn man wie gefangen zu sein scheint im Auf und Ab der Zeiten?
Die dritte Zeit zwischen Ebbe und Flut lässt sich kultivieren. Sie hat den Geschmack der Ewigkeit. Für einen Augenblick also bin ich der Zeit enthoben. Als Mensch bin ich eben auch ein Lebewesen im Horizont der Ewigkeit. Also dem Bereich, in dem Gott immer schon gegenwärtig ist. Meine Seele, findet Ruhe in der Stille zu Gott. Krass, wie für einen Moment im Auf und Ab diese Ruhe Gottes hineinreicht ins eigene Aufgewühltsein.
Im Wechsel der Gezeiten finde ich einen Halt. Hilfe kommt mir entgegen, wird gegenwärtig vom Schöpfer des Himmels und der Erde. Und aus der Stille und Klarheit kommt man neu zustande und ins Handeln.
Insofern wäre vielleicht mal wieder ein Besuch an der Küste dran, wenn es sich einrichten lässt. Um vom Bild der Gezeiten inspiriert in den Alltag zurückzukehren.
So oder so: Jederzeit ist die Kraft der Stille im Gebet erfahrbar. Als konkrete Hilfe für heute.
Eben: „Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft.“ (Ps 62,2)
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